Wenn Robinson Crusoe einen Hang zur Gotteslästerung
gehabt hätte, müsste sich keiner aufregen; er wäre mit Gott alleine
gewesen, wie phasenweise Hiob, der mit Gott hadert und haarscharf an
der Blasphemie vorbeischrammt. Blasphemie ist nur im Dreiecksverhältnis
möglich. Wer sich am Heiligen vergreift, von dem er vielleicht
sogar behauptet, dass es gar nicht existiert, kann niemanden wirklich beleidigen,
und für den Gläubigen kann die Größe Gottes durch Menschen
ohnehin nicht geschmälert werden. Blasphemie spielt über die Bande.
Die Aggression, die sich das Heilige und den Glauben zum Ziel setzt,
richtet sich in Wahrheit gegen die Gläubigen.
Mich ärgert das folgende Dilemma: Wenn ich mich aufrege, mich
entrüste, beschwere oder Klage erhebe, funktioniere ich unter Umständen
genau so, wie sich der Beleidiger es ausgerechnet hat. Wahrscheinlich
verspricht er sich einen PR-Effekt davon. Skandal ist immer
gut für die Theaterkasse. Verhalte ich mich aber still und passiv, wird die
Reizschwelle flach und flacher. Eine psychische Aggression, die direkt
auf mich zielt, konfrontiert mich als Christ zudem mit der Bergpredigt,
die mich anweist, das Reiz-Reaktions-Schema zu überspringen und die
andere Wange hinzuhalten. Wenn es aber nicht um mich und das Austesten
meiner Beleidigungstoleranz,
sondern um Gott geht, darf ich da im
stillen Beobachterwinkel sitzen bleiben?
Das Thema Blasphemie eignet sich als
Gegenstand des Religionsunterrichts
besonders gut. Was ist eigentlich das
Heilige? Was geschieht, wenn Mose seine
Schuhe auszieht, Salomo den Tempel
baut? Was hat es zu bedeuten, wenn „das
Heilige den Hunden vorgeworfen wird“?
Was ist mit den kleinen Blasphemien im
Alltag der Jugendkultur, den umgedrehten
Okkultistenkreuzen und dem Kruzifix als
Accessoire am Ohrläppchen, am Bauchnabel
und am Busen? Neben diesem
attraktiven Themenkomplex, der einer Ästhetik des subversiven Tabubruchs
folgt, gibt es aber auch so etwas wie eine rechte Blasphemie.
Es ist die Blasphemie der Frommen. Ich meine die Strategien, mit denen
die Freiheit Gottes, der sich nicht in der gewünschten Weise offenbart,
durch Erschleichungen vernichtet wird. Da keine Stimme vom Himmel
tönt und keine kinoartige Vision mir die Welt erklärt, kann ich mich
behelfen: Die Nadel sticht in die Bibel, spießt einen Vers auf und zaubert
sich die göttliche Offenbarung durch ein Orakel herbei. Auch bei so
manchen charismatischen Ekstasetechniken muss ich mich fragen, ob da
nicht das Medium die Message ist. Alle Offenbarungsgeschichten der
Bibel haben einen Index der Vorenthaltung – Gott offenbart sich als der
sich Entziehende. Wenn wir ihn entbehren müssen, hat das auch mit
unserer eigenen Freiheit etwas zu tun.