Auf das Ende der großen Völkerwanderung im des 4. bis 6. Jahrhunderts folgte eine äußerlich ruhige Phase. Im 7. Jahrhundert gab es in Europa keine großen Umbrüche. Und doch hatten der Zusammenbruch des Römischen Reiches und die Völkerwanderung lange nachwirkende Folgen. Eine davon war, dass sich gleich fünf europäische Sprachgruppen im 5. bis 8. Jahrhundert nach Christus in Einzelsprachen aufzugliedern begannen. Der Vorgang ist seit längerem bekannt, wurde aber bisher noch nicht zusammenhängend dargestellt und analysiert.
Dies unternimmt der Linguist Wolfram Euler erstmals auf neuestem Forschungsstand in diesem Buch, beginnend mit der Aufgliederung des Spätlateins in die Vorläufer der romanischen Einzelsprachen. Vor allem im 7. Jahrhundert ist dieser Prozess zügig vorangeschritten. Ähnliche Vorgänge sind in dieser Zeit trotz fehlender Texte auch für das Westgermanische sowie für das Keltische, Slawische und Baltische nachweisbar. Eulers Untersuchung beginnt mit den romanischen Sprachen, weil hierzu am meisten Daten vorliegen. Selbst über nur minimal belegte regionale Varianten des späten Lateins (etwa in Großbritannien, im Donauraum, in Dalmatien und in Nordafrika) sind inzwischen Aussagen möglich. Auch in den vier anderen Sprachgruppen lassen die später überlieferten Nachfolgesprachen sicher erkennen, dass in dieser „dunklen“ Epoche viele Veränderungen geschehen sein müssen, die Euler beschreibt und analysiert.
Im zweiten Buchbeitrag untersucht der Münchner Pivatgelehrte das Verhältnis der ostgermanischen Sprachen Gotisch, Burgundisch und Vandalisch. Im Mittelpunkt stehen die Fragen, ob zwei dieser drei Sprachen untereinander enger verwandt sind als mit der jeweils dritten und ob es eine rekonstruierbare ostgermanische Protosprache gegeben hat. Letzteres ist unwahrscheinlich, kann aber angesichts der geringen Überlieferung von Burgundisch und Vandalisch auch nicht ausgeschlossen werden. Soweit es aber eine ostgermanische Protosprache gegeben habe, dann könne diese nur für eine kurze Zeit, etwa in den beiden Jahrhunderten vor und nach der Zeitenwende bestanden haben.
Muss diese Frage nun für alle Zeiten offen bleiben oder gibt es noch Möglichkeiten, um das ziemlich mysteriöse Ostgermanische besser zu verstehen? Dieser Frage geht Konrad Badenheuer in einem dritten Beitrag akribisch nach. Sein optimistisches Fazit: Auch jetzt noch gibt es noch ungehobene „Datenschätze“, um mehr zu erfahren über die Sprache(n) der Goten, Burgunder und Wandalen, über die wir so wenig wissen. Vor allem in alten Ortsnamen (Toponymen) in Spanien, Südfrankreich und der Westschweiz sind noch viele unausgewertete Informationen über das Ostgermanische enthalten, die genauer erforscht werden sollten.