Eine Lehre vom Menschen
Geschichte – nach Shakespeare „ein Märchen voll Lärm und Wut, erzählt von einem Idioten“– ist heutzutage omnipräsent: Keine Woche vergeht ohne Ge- und Bedenktage. „Erinnerungskultur“ heißt das für den zugehörigen Tross lukrative Zauberwort. Fernsehanstalten betreiben „History Channels“, beim Zappen geht es in bunter Folge von den Geheimnissen des Maya-Kalenders über die Feldzüge Karls des Großen zu Adolf Hitlers Frauen. Selbst des Teufels (reinrassige?) Schäferhündin hat es zu einem Wikipedia-Artikel gebracht: „Blondi † 30. April 1945 in Berlin“. Ebenso allgegenwärtig ist die Mahnung, aus „der“ Geschichte zu lernen, auf dass „sie“ sich nicht wiederhole. Allerdings: Hat das wirklich alles mit „Geschichte“ zu tun?
Das Wort hat bekanntlich – von allen feinen Nuancen abgesehen – drei Grundbedeutungen: Zunächst meint es ganz allgemein vergangenes Geschehen, dann das Berichten darüber, aus dem sich im 19. Jahrhundert – verhältnismäßig spät – eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin entwickelte, und zum dritten eine Erzählung ohne Anspruch auf einen Wahrheitsgehalt – eben eine „Geschichte“.
Fragen wir nach dem Gegenstand von Geschichte im ersten und zweiten Sinn, so fällt die Antwort sehr allgemein aus: Es geht um Menschen – oder genauer: um Handlungen, um Interaktionen, die von Menschen als Individuen oder als Gemeinschaften welcher Art auch immer in einer mehr oder weniger weit zurückliegenden Vergangenheit gesetzt wurden, um das Resultat einer unüberschaubaren Masse menschlicher Tathandlungen.
Geschichte bedarf des Menschen. Was sich ohne seine Anwesenheit, ohne sein Zutun zutrug oder noch zuträgt, gehört in jene Schublade, die man früher der Einfachheit halber „Naturgeschichte“ nannte.
Ist freilich menschliches Handeln das Thema und vermeint man, die Fakten gesammelt zu haben, tun sich die alten Abgründe auf: Wie frei oder unfrei ist der Mensch in seinem Tun?