"Eine wirkliche Kommunistin"

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"Eine wirkliche Kommunistin"
»Mich brachte der Geselle der Tischlerei, in der ich arbeitete, zu Euch. Er war nicht politisch organisiert, hatte aber viel Instinkt, war ein Klassen- kämpfer. (…) Er sagte mir, ich werde Dir eine wirkliche Kommunistin vorstellen. Er brachte mich zu Euch und ich sehe es noch wie heute, daß Deine Mutter uns ganz selbstverständlich eine Tasse Kaffee anbot, trotz- dem Schmalhans Küchenmeister bei Euch war.« 1 So erinnerte sich 1980 Albert Norden, Mitglied des Politbüros der SED, an seine erste Begegnung mit Auguste Kirschey in einem Gespräch mit Wilhelm Kirschey, ihrem ältesten Sohn. Norden, der Sohn des Elberfelder Rabbiners Dr. Josepf Norden, hatte sich als 16-jähriger Schüler der Kommu- nistischen Jugend angeschlossen. »In erregten, durch elterliche Ohrfeigen gewürzten Auseinandersetzungen« hatte Norden darauf bestanden, wie seine »Jugendgenossen zu arbeiten« und eine Lehre als Tischler begonnen 2 In seinen Memoiren ging er ausführlich auf Auguste Kirschey ein: »Wenn ich an jene Zeit denke, dann will mir die Familie Kirschey nicht aus dem Sinn. (…) Als ich sie kennenlernte, sah die Achtunddreißigjährige bedeutend älter aus, so sehr hatten der persönliche Schmerz, die Sorge um ihre sechs Kinder und die permanente Unterernährung ihr Gesicht gezeichnet. (…) Sie hat den eigenen Kindern und breiten proletarischen Kreisen in Elberfeld ein Beispiel gegeben, wie eine Arbeiterin gegen die einflußreiche Reaktion für die Sache des friedlichen Fortschritts der Menschheit lebt und kämpft. Sie bot ihrer Familie auch geistige Nahrung. Ich sah in ihrem Schrank vor allem Bücher von Maxim Gorki und andere progressive Lyrik und Prosa, die von den Kindern als Geburtstagsgeschenk sehr begehrt waren. (…) So wie die (…) Kirscheys kämpften Tausende kommunistischer Familien. Ihre Namen werden nicht in den Geschichtsbüchern genannt, obwohl gerade sie es waren, die im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte machten. Vor einigen Jahren stellten mir FDJler in einem Jugendforum die Frage, wie sich bei Menschen, die ganz anderer Herkunft sind, eine völlige Identifizierung mit den Positionen der Arbeiterklasse vollzieht. In meiner Antwort habe ich nicht zuletzt auf solche Arbeiterfamilien verwiesen, deren Vorbild entscheidend dazu beitrug, daß sich viele vom Bürgertum lösten.« Die Erinnerungen Nordens zeigen, dass es sich bei Auguste Kirschey um eine außergewöhnliche Frau handelte. Außergewöhnlich war nicht nur, dass sie 1924 als eine von sieben weiblichen von 56 Abgeordneten in den Elberfelder Stadtrat gewählt wurde, sondern auch, dass sie sechs Kinder hatte. »Denn jene Frauen, die in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen in der KPD Funktionen übernahmen, waren ausnahmslos alleinstehend, unverheiratet, geschieden, kinderlos oder hatten zumindest weniger als zwei Kinder.« Dass Frauen wie Auguste Kirschey, wie Norden zu Recht bemerkte, »nicht in den Geschichtsbüchern genannt« werden, hängt zum einen damit zusammen, dass Arbeiterinnen meist keine Tagebücher und Briefe hinterließen und zum anderen, dass sie Kommunistin war. Neben den Erinnerungen von Norden liegen für Auguste Kirschey die Memoiren ihres Sohnes Helmut und Interviews mit ihrem Sohn Wilhelm vor. Weitere Spuren von ihr finden sich in Zeitungen und Archiven, die es ermöglichen, ihre Biografie auf dem Hintergrund der revolutionären Massenbewegung von 1917 bis 1924 ansatzweise zu rekonstruieren. Im ersten Kapitel skizzieren wir die politische Situation im Wuppertal von 1917 – 24. Im zweiten Kapitel schildern wir Auguste Kirscheys Politisierung im Ersten Weltkrieg auf dem Hintergrund der sich seit 1917 bildenden Antikriegsbewegung, in der Frauen eine große Rolle spielten. Die Aktionsfelder von Auguste Kirschey in der Bewegung der Kriegsbeschädigten und Kriegerwitwen, im Kampf für die freien weltlichen Schulen und ihr Engagement als Frau in der KPD analysieren wir im dritten Kapitel. Abschließend gehen wir auf ihren frühen Tod und ihr Nachleben ein.

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ISBN: 9783943643220

Language: German

Publication date: 21.08.2024

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