Vor vierhundert Jahren rief Martin Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey eine deutschsprachige Kunstdichtung ins Leben, die mit der griechischen und lateinischen Literatur ebenso wie mit den führenden Literaturnationen des frühen 17. Jahrhunderts — Frankreich, Italien, Spanien, den Niederlanden — mitzuhalten beanspruchte. Das Epochenjahr 1624 ist literaturhistorisch so geläufig, wie es in poetikgeschichtlicher Sicht nach wie vor Rätsel aufgibt, scheint Opitz doch in dem nur wenige Bogen füllenden Buch, außer daß er es auf deutsch tat, nichts gesagt zu haben, das nicht vor ihm schon gesagt oder poetisch praktiziert worden wäre.
Anders stellt die Sache sich dar, wenn man die typographische Inszenierung des Auftritts der neuen »Poeterey« — durchweg noch unveröffentlichter Texte von Opitz selbst — ernst nimmt. Pointiert gesagt sind die Verszitate in der Prosa des Buchs von der Deutschen Poeterey seine eigentlichen Protagonisten, denen die zeitgenössisch ungewöhnliche Quartseite zur Bühne wird. Um das zu sehen, ist es freilich notwendig, die »Deutsche Poeterey« (wie Opitz am Ende der »Vorrede« formuliert) »für augen [zu] stellen«. Das unternimmt die Neuedition, indem sie — unter Verzicht einzig auf die Barockfraktur — Format und Druckbild der Ausgabe von 1624 exakt nachbildet und so für den Einsatz differenter Schriftgrößen und dessen semantische Implikationen zu sensibilisieren sucht. Der Kommentar geht besonders auch auf das typographische Erscheinungsbild des Erstdrucks ein, zudem kann er durch konsequenten Rückgang auf zeitgenössische Referenzausgaben des 16. und 17. Jahrhunderts, die Opitz benutzt hat oder benutzt haben konnte, eine Reihe vermeintlicher Irrtümer des Autors ausräumen und den überlieferten Wortlaut der Poeterey gegen editorische Eingriffe rechtfertigen.