Wir sind am Fürstenhof von Parma. Soziale Zeit erschöpft sich dort darin, Geheimnisse zu schaffen, zu hüten oder mitzuteilen. Das sind schwierige Aufgaben, denn die Überwachung durch die Herzogin und ihre Spione ist streng. Wo aber alle auf das Geheimnis starren, kann sich das Verhältnis zwischen Öffentlichem und Verborgenem umkehren und das Versteckte gerade dort sichtbar werden, wo man es am wenigsten vermutet: Geheimnisse werden zu lauten Geheimnissen, »secretos« zu »secretos a voces».
Pedro Calderón de la Barca schrieb das Stück im Jahr 1642 für den bedeutenden Theatermacher Antonio de Prado; in einer Zeit, als der Sturz des mächtigen Conde-Duque de Olivares knapp bevorstand, die spanischen Truppen gegen aufständische Katalanen und abtrünnige Portugiesen kämpften, und Madrid mehr Heerlager als Hof war. Intrige, Verschwörung und der Handel mit Geheimnissen waren allgegenwärtig.
Die kritische Ausgabe, basierend auf Calderóns handschriftlicher Erstfassung und allen wesentlichen Zeugnissen, verfolgt in der Einleitung die Geschichte der Tradierung des Textes und der ersten Aufführungen am Theater, so auch die Inszenierung am Wiener Kaiserhof im Jahr 1671.
Eine ausführliche philologische und historische Einführung behandelt Sprachkunst, Vers, Rhythmus, Szenen-Komposition und komische Effekte, sowie die im Text angelegten Möglichkeiten der Realisierung auf der Bühne. Auch mögliche Verbindungen zum Zeitgeschehen am Hof Philipp IV. und seiner Kultur der Geheimhaltung kommen zur Sprache.
Damit erfährt ein Stück Würdigung, das einen Höhepunkt im komischen Schaffen Calderóns darstellte und seine lebenslange Obsession mit dem Geheimnis um eine ganz neue Facette bereicherte. Zugleich bereitete »El secreto a voces« die große abendländische Tradition der höfischen Komödie und der »Opera buffa« eines Mozart und Da Ponte vor. Wer genau hinsieht, wenn im nächtlichen Garten die letzte „Maskerade“ die Enthüllung der Geheimnisse ankündigt, der erkennt hinter Laura, Federico und Flérida die Umrisse von Susana, dem Figaro und den Grafen von Almaviva.