"Wie tief hinab reicht das Erinnern", fragen die Gedichte in dem Band "Salz und Erinnern". Mit den Gedichten von Tom Schulz begeben wir uns auf eine Reise in die gleichermaßen nahe wie fernere Vergangenheit. Eine Reise, die auch vor drängenden Themen der Gegenwart nicht haltmacht. So setzen die Gedichte mit ihrer Sprachintensität der diagnostizierten Verrohung unserer Zeit ein grandioses Zeugnis der Poetisierung entgegen. In den Texten werden Orte eigener und fremder Geschichte aufgerufen – von der ehemaligen Stalinallee in Ostberlin über Budapest bis an der Donau. Es gibt Überblendungen und Rückbilder: das zerstörte Berlin, die Zeit des Austrofaschismus, die Nachkriegszeit, Serbien dreißig Jahre nach den Schrecken des Krieges.
Im zentralen Kapitel führen die Gedichte ins Schicksalhafte, in einen Schwebezustand zwischen Leben und Tod. Die Zytostatika-Suite – benannt nach den Medikamenten der Chemotherapie – beginnt mit Bildern zwischen Wachen und Traum: "Hinter einer Blume liege ich und träume einen Sommertag aus süßen Gräsern ...". Klinisch reale und halluzinatorische Momente verbinden sich in diesem Zyklus. Es sind Grenzerfahrungen, in denen Erinnerungen und Hoffnung im Wechselspiel stehen, während der Tod als Möglichkeit real ist. Als Metapher dient der „Fahrstuhl zwischen Erdgeschoss und Himmel, zwischen Vorhölle und Rettungsstelle“. Zweifellos gehören diese Gedichte in ihrer halluzinatorisch-rituellen Intensität zum Eindrucksvollsten nicht nur des Bandes Salz und Erinnern, sondern des gesamten Œuvre des Dichters Tom Schulz.